Das Jurastudium ist bekannt für seinen hohen Schwierigkeitsgrad und den enormen Druck, dem Studierende ausgesetzt sind. Die Erwartungen an die eigenen Leistungen und der ständige Vergleich mit den Mitstudierenden können eine immense Belastung darstellen. Besonders die Notenskala, die oft als willkürlich und absurd empfunden wird, trägt dazu bei, dass viele Studierende unter starkem Stress und sogar Angst leiden. Die Angst, nicht den eigenen oder den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden, führt oft zu einem inneren Wettstreit mit den Kommilitonen, der das Gefühl der Anspannung und des Drucks nur verstärkt. Oft werden die Jurastudierenden als unsozial abgestempelt, da sich Gerüchte um versteckte Lehrbücher und ausgerissene Seiten schnell verbreitet haben. Und ja, so etwas muss definitiv nicht sein. Doch, wenn man sich den enormen Druck vergegenwärtigt, den Jurastudierende ausgesetzt sind und diesen vielleicht auch selbst schon miterlebt hat, darf man hier etwas Verständnis aufbringen. Denn solche unmoralischen Handlungen sind Ergebnisse eines toxischen Systems und Verzweiflung. Während andere Studierende oft für ihre Hausarbeit ein eigenes individuelles Thema bekommen, konkurrieren Jurastudierende mit hunderten von Kommilitonen, die ein und die selbe Hausarbeit schreiben müssen. Das Ergebnis der Arbeit wird subjektiv an den anderen gemessen. Die Note resultiert zwar aus einem Vergleich mit einer groben Musterlösung, doch erhält gerne der bzw. die Kandidat:in die Spitzennote, der bzw. die dieses eine Argument in einem Lehrbuch gefunden hat, welches nur als Einzelexemplar für hunderte von Studierende zur Verfügung steht. Damit ist die Leistung überdurchschnittlich, weil niemand anderes diesen Aspekt in der Hausarbeit beleuchten konnte.
Dieser Leistungsdruck hat weitreichende Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Studierenden. Viele von ihnen kämpfen mit Selbstzweifeln und einem niedrigen Selbstwertgefühl, da sie ihren Wert oft ausschließlich an den akademischen Leistungen messen. Es entsteht ein gefährlicher Kreislauf: Der Druck, gute Noten zu erzielen, führt zu Stress, der wiederum die Fähigkeit, sich auf das Studium zu konzentrieren, beeinträchtigen kann. Das führt häufig zu schlechteren Noten, was den Stress weiter verstärkt. In einer derart wettbewerbsorientierten Umgebung fällt es vielen schwer, die eigene Selbstachtung von den akademischen Leistungen zu trennen. Der Glaube, dass der eigene Wert vor allem durch die Noten bestimmt wird, führt dazu, dass sich Studierende selbst übermäßig unter Druck setzen. Sie knüpfen ihr Selbstwertgefühl an äußere Erfolge und verlieren dabei oft das Wesentliche aus den Augen: dass sie mehr sind als nur die Summe ihrer Noten.
Um die Reformierung des Jurastudiums wird seit Jahrzehnten gekämpft, doch bringt es dir persönlich natürlich nichts, wenn du dich laufend über das System aufregst. Es kostet dich deine Nerven, deine Lebensfreude und ändert leider nichts an der Situation. Auch, wenn ein Jammern nur absolut verständlich ist, es bringt dich nicht weiter.
Der hohe Leistungsdruck im Jurastudium stellt also eine immense Herausforderung dar, die viele Studierende und wahrscheinlich auch dich betrifft. Doch es ist entscheidend, dass du dir bewusst machst, dass dein eigener Wert nicht ausschließlich durch akademische Leistungen definiert wird. Ein freundlicher Umgang mit dir selbst ist ein wesentlicher Schritt, um dem Leistungsdruck gesund zu begegnen. Dieser Ansatz beinhaltet die bewusste Entscheidung, dich selbst zu akzeptieren, auch wenn die Noten einmal nicht den eigenen Erwartungen entsprechen. Es ist wichtig zu erkennen, dass Erfolg im Jurastudium nicht ausschließlich durch Bestnoten definiert wird. Vielmehr umfasst Erfolg auch die persönliche Entwicklung, den Einsatz und das Engagement, das man in sein Studium investiert. Diese Aspekte tragen genauso zum langfristigen Erfolg bei wie akademische Leistungen. Doch leichter gesagt als getan. Wie setzt du das nun um?
Selbstmitgefühl praktizieren
Selbstmitgefühl ist ein Schlüssel, um dem Leistungsdruck erfolgreich entgegenzutreten. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass ein mitfühlender Umgang mit sich selbst positive Veränderungen bewirken kann.
Eine solche Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und dem Wunsch, das Rauchen aufzugeben. Dabei wurden 126 Probanden zufällig in vier Gruppen eingeteilt, von denen eine Gruppe angeleitet wurde, mitfühlend mit sich umzugehen, wenn der Drang zu rauchen aufkam. Das Ergebnis war beeindruckend: Die Teilnehmer, die Selbstmitgefühl praktizierten, reduzierten ihr Rauchverhalten in nur drei Wochen deutlich schneller als die anderen, selbst wenn ihre anfängliche Bereitschaft, das Rauchen aufzugeben, gering war. Dieses Ergebnis widerlegt das alte Sprichwort „nur die Harten kommen in den Garten“ und zeigt, dass ein mitfühlender Umgang mit sich selbst nicht nur zu einem längeren Durchhaltevermögen führt, sondern auch den Weg zum Ziel angenehmer macht. (Quelle: Article in Journal of Social and Clinical Psychology · September 2010: Who Benefits from Training in Self-Compassionate Self-Regulation? A Study of Smoking Reduction. DOI: 10.1521/jscp.2010.29.7.727).
Doch wie setzt du Selbstmitgefühl um? Die meisten von uns sind von klein auf konditioniert worden, hart mit sich ins Gericht zu gehen. Vielleicht kennst du das von dir auch, dass dir sofort ein „bin ich dumm!“, rausrutscht, wenn dir ein Missgeschick passiert. Was so scheinbar harmlos wirkt, ist jedoch die Offenbarung eines inneren Dialogs, der in dir fortwährend herrscht. Dein innerer Kritiker hält dich ständig klein. Er spricht nicht gerade freundlich mit dir und das am laufenden Band. Das beeinträchtigt dein Selbstbewusstsein, deinen Selbstwert und deine Motivation. Insbesondere in Deutschland herrscht ein schlechter Umgang mit Fehlern. Auf der Weltrangliste sind wir sogar auf den vorletzten Platz, was den positiven Umgang mit Fehlern betrifft. Doch Fehler gehören dazu und aus diesen lernen wir besonders stark. In dir herrschen also negative Glaubenssätze, die dich ständig fertig machen. Ganz ehrlich, würdest du so mit einer geliebten Person sprechen? Niemals. Also wieso mit dir? Doch leichter gesagt, als getan. Denn schließlich haben wir uns unser Leben lang antrainiert so mit uns selbst zu reden. Hab Geduld mit dir, es wird eine Weile dauern, bis du einen positiveren Umgang mit dir selbst haben wirst. Gib nicht auf und sprich mitfühlend mit dir, wenn du mal wieder so richtig fies zu dir warst.
Folgende Übungen können dir helfen:
- Nimm negative Glaubenssätze wie „ich bin nicht gut genug“ wahr und ersetze sie durch positive wie „das ist nicht wahr. Ich habe XY schon gemeistert.“
- Meditiere und erkenne welche Gedanken dir in den Kopf schießen. Mach dir bewusst, wie du mit dir selbst redest.
- Schreibe dir eine Liste mit all deinen Stärken und allen Erfolgen. Lies sie dir durch, nachdem du eine Note erhalten hast.
- Nimm bewusst deine Gedanken wahr, die du hast, wenn du eine Bewertung erhältst. Wirke diesen aktiv dagegen. Kannst du wirklich sagen, dass der Gedanke zu 100 % wahr ist? Was könnte dagegen sprechen?
- Lobe dich regelmäßig. Klebe dir beispielsweise einen Post-It an den Laptop, der dich daran erinnert.
Unter diesem Beitrag kannst du kostenlos ein PDF herunterladen, mit welchem du Fragen an die Hand bekommst, um positiv mit deinen Noten umzugehen.
Selbstfürsorge
Zum Selbstmitgefühl gehört auch die Selbstfürsorge. Diese beinhaltet, dass du dich selbst mit Respekt und Mitgefühl behandelst, dich selbst liebst und dich so annimmst, wie du bist – unabhängig von den erreichten Noten. Selbstfürsorge kann in vielen Formen praktiziert werden, sei es durch körperliche Betätigung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf oder auch durch das Pflegen sozialer Kontakte. Es ist wichtig, sich regelmäßig Zeit für Dinge zu nehmen, die einem Freude bereiten und die Seele nähren.
In der oft stressigen Welt des Jurastudiums kann Selbstfürsorge den entscheidenden Unterschied machen. Indem man sich bewusst Pausen gönnt und sich erlaubt, auch einmal „Nein“ zu sagen, schafft man Raum für Erholung und Regeneration. Dies kann die eigene Leistungsfähigkeit und Konzentration erheblich steigern. Zudem hilft es, den Blick für das große Ganze zu bewahren und nicht im Detail des akademischen Drucks zu versinken. Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf sind hierbei genauso wichtig wie das Pflegen sozialer Kontakte. Gespräche mit Freunden und Familie können nicht nur Ablenkung bieten, sondern auch eine wichtige emotionale Stütze sein. Sie erinnern einen daran, dass das Leben mehr bietet als nur die nächste Klausur oder das Examen.
Übung: Überlege dir Aktivitäten, die dir Trost spenden, wenn es dir schlecht geht. Notiere sie dir und nimm sie immer zur Hand, wenn du eine Bewertung erhalten hast, die dich deprimiert. Wichtig ist, dass die Tätigkeit dir wirklich gut tut, wenn es dir schlecht geht. Sie soll deine Gefühle nicht unterdrücken und verdrängen, denn dann staut sich alles nur an. Vielleicht tut es dir gut deine Lieblingsserie anzusehen, Schokolade zu essen und einfach mal dabei zu weinen. Oder du triffst dich mit einer guten Freundin, die dir immer viel Trost spenden kann. Du kannst auch Fotos von schönen Momenten in deinem Leben oder deinen Liebsten in einem Ordner speichern und diese bewusst ansehen, um dir klarzumachen, dass du mehr als deine Noten bist. Werde kreativ und setze diese Übung jetzt um.
Schließlich ist es bedeutsam, den eigenen Erfolg nicht ausschließlich durch akademische Ergebnisse zu definieren. Erfolg kann in vielen Formen auftreten, sei es durch persönliche Fortschritte, die Überwindung von Herausforderungen oder das Erlernen neuer Fähigkeiten. Diese Erfolge sind ebenso wertvoll und sollten gewürdigt werden. Das Verständnis, dass das Leben mehr zu bieten hat als gute Noten, hilft dabei, den Druck zu relativieren und eine gesunde Perspektive auf das Studium zu entwickeln.
Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass das Jurastudium nicht das ganze Leben definiert. Zwar ist es ein bedeutender Abschnitt, aber nicht der einzige Maßstab für den eigenen Wert und Erfolg. Viele Studierende neigen dazu, das Studium als alles bestimmenden Faktor ihres Lebens zu betrachten. Dabei werden andere wichtige Aspekte des Lebens oft vernachlässigt – sei es die eigene Gesundheit, Freundschaften oder persönliche Interessen. Doch gerade diese Dinge tragen langfristig zu einem erfüllten Leben bei und sollten nicht dem Leistungsdruck geopfert werden.
Selbstreflexion
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bedeutung von Selbstreflexion. Indem man regelmäßig inne hält und über seine Ziele, Werte und Prioritäten nachdenkt, kann man sicherstellen, dass man den richtigen Weg für sich selbst wählt. Selbstreflexion hilft dabei, Klarheit über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu gewinnen und sich nicht im Wettlauf um die besten Noten zu verlieren. Sie ermöglicht es auch, die eigenen Erfolge – ob groß oder klein – zu erkennen und zu schätzen.
Übung: finde heraus was wirklich dein Ziel ist. Gerade im Jurastudium wird die Justiz oder die Großkanzlei als das eine große Ziel, welches man zu erreichen hat, vermittelt. Dabei passiert es schnell, dass du dich so unter Druck setzt diese Notenziele zu erreichen, obwohl du dir eigentlich ein ganz anderes Leben vorstellst. Reflektiere also für dich selbst, was dein Ziel ist. Wie soll dein Leben aussehen? Wie viel möchtest du arbeiten? Wie viel Zeit für Freunde, Familie und Hobbys? Warum reizt dich dein Ziel so und passt es wirklich zu dir?
Umgang mit Noten
Nun möchte ich dir einige Schritte an die Hand geben, um mit der jeweiligen Note achtsam und gesund umzugehen.
1. Wahrnehmen
Beim Erhalt der Note nimmst du zunächst deine Gedanken und Emotionen wahr. Das wird erstmal etwas Übung brauchen, bis das selbstverständlich für dich ist und automatisch läuft. Gib dir also Zeit. Nimm sie wahr und bewerte sie nicht. Denk dir: „aha, ich fühle mich traurig“. Spür in deinen Körper hinein, wo äußert sich diese Emotion? Hast du einen Klos im Hals oder zieht sich dein Magen zusammen?
2. Affirmation
Als nächstes sagst du dir folgendes: „Es ist okay, dass ich mich so fühle. Das Gefühl darf da sein. Es ist für mich da. Mein Körper hat alles, um damit gesund umgehen zu können.“ Denn jedes Gefühl, auch wenn es sich für dich negativ anfühlt, ist ein Mechanismus, welcher für dich da ist. Es möchte dich schützen.
3. Zulassen
In deinen eigenen vier Wänden lässt du diese Emotion nun zu. Achte darauf, dass du sie nicht vertiefst, indem du negativ denkst. Lass es einfach zu und lass es abfließen. Du kannst hierfür eine geführte Mediation nutzen. Mit etwas Übung wirst du das ganz automatisch machen. Das spannende ist nämlich, dass sich jede Emotion auf natürliche Weise nur höchstens 120 Sekunden in unserem Körper befindet. Sie taucht zwar immer wieder auf, doch das Gefühl – ohne künstliche Verstärkung – fließt schnell wieder ab.
4. Reflexion
Wenn du nun deine Gefühle zugelassen und dich etwas beruhigt hast, nimmst du meine folgende Reflexionshilfe zur Hand (PDF steht dir unten zum kostenlosen Download zur Verfügung).
a) Notiere dir, weshalb du zunächst über die Note enttäuscht warst. Nun fragst du dich, was positiv an dieser Situation ist.
b) Das hört sich zunächst seltsam an, doch es gibt immer einen positiven Blickwinkel. Beispiel: durchgefallen durch die Klausur – ich kann mich erneut mit dem Thema auseinandersetzen, es mehr verinnerlichen, weil ich es schon einmal gelernt habe und diesmal besser abschneiden.
c) Notiere dir ein Mantra für die nächsten Tage, denn die negativen Gedanken werden immer wieder aufkommen. „Es ist okay, das nächste Mal schaffe ich es“ oder ähnliches, wird dir helfen, diesen entgegenzuwirken.
d) Jetzt notierst du dir was du das nächste Mal besser machen kannst. Hast du zu wenig Pausen gemacht und warst völlig erschöpft in der Klausur? Hast du zu spät angefangen? Vielleicht hast du aus deiner Sicht auch alles ideal gestaltet, dann kannst du dir vornehmen, das nächste Mal trotz dieser Erfahrung positiv heranzugehen.
e) Nun schreibst du dir einen kurzen Plan für die nächste Klausur bzw. nächste Prüfung. Welche Schritte möchtest du unbedingt befolgen? Das könnte so aussehen: Stoff überblicken – Lernplan gestalten – Puffertage einplanen – gesunde Snacks besorgen – usw.
Schließlich sollte man sich bewusst machen, dass das Jurastudium eine Phase im Leben ist, die vorbeigeht. Es ist eine wertvolle Zeit des Lernens und der persönlichen Entwicklung, aber sie sollte nicht als das einzige Maß für den eigenen Wert betrachtet werden. Indem man sich selbst mit Mitgefühl und Fürsorge begegnet, legt man den Grundstein für ein erfülltes und erfolgreiches Leben – sowohl während des Studiums als auch danach. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Leben viele Facetten hat und dass der wahre Erfolg darin besteht, ein Leben zu führen, das den eigenen Werten und Träumen entspricht.
Ich drücke dir ganz fest die Daumen und wünsche dir viel Erfolg bei der Umsetzung! Denk daran: du bist wertvoll, egal welche Noten du schreibst.
Deine Jenni
Hier geht’s zu meinem Ratgeber für eine mental gesunde Examensvorbereitung. Du erfährst neben dem Umgang mit Noten, insbesondere wie du mit Prüfungsangst und dem ständigen Vergleich mit deinen Kommilitonen gesund umgehst.


Ein Gedanke zu „Leistungsdruck im Jurastudium achtsam bewältigen: Wege zu einem gesunden Umgang mit Noten“